Abenteuer eigener Verlag – Ein Interview
Die Kleinverlagsszene ist ein abenteuerliches Pflaster. Da tummelt sich schaurig Schlechtes neben faszinierend Ungewöhnlichem. Man kann als Leser viele Nieten ziehen, aber auch kleine Juwelen finden. Vieles hat aus qualitativen Gründen zurecht keinen Platz bei einem der etablieren Verlage gefunden. Anderes wäre es wert gelesen zu werden, bedient aber ein (noch) zu kleines Publikum und bekommt in einem kleinen Nischenverlag endlich seine Chance.
So unterschiedlich wie die Verlage sind auch die Menschen, die sie machen, und ihre Motivation sich in dieses Abenteuer zu stürzen.
Vor einigen Jahren lernte ich auf der Leipziger Buchmesse Julia Schwenk, eine der beiden Geschäftsführerinnen des Verlags Cursed Side, kennen. Wir haben über die Jahre den Kontakt gehalten und so konnte ich sie fragen, ob sie Lust auf ein kleines Interview hätte.
Hatte sie und deshalb plaudere ich heute mit Julia über Verlagsgründung, das „Boys Love“ Genre und die Frage, warum es gleichgeschlechtliche Liebesgeschichten abseits der Manga auf dem Buchmarkt so schwer haben.
Hallo Julia. Danke, dass du dich bereiterklärt hast, mir ein paar Fragen zu beantworten. Könntest du dich und den Verlag einmal in kurzen Worten vorstellen?
Hallo! Ich bin Julia Schwenk, eine der beiden Geschäftsführenden Gesellschafterinnen des Verlags Cursed Side. Dieser ist im Februar 2010 aus der Fusion von Cursed Publishings und The Wild Side hervorgegangen
Unser Veröffentlichungsschwerpunkt liegt auf Romanen aus dem GayRomance- bzw. BoysLove-Genre, wobei wir sowohl deutsche AutorInnen als auch Übersetzungen von englischsprachige Lizenztexten publizieren. Darüber hinaus erweitern einige Mangas und eine große Auswahl an Merchandiseprodukten wie Poster, Tassen, usw. unser Programm.
Du erwähntest eben das „Boys Love“-Genre . Kannst du für diejenigen, die noch nie damit in Berührung gekommen sind, kurz erklären, was man darunter versteht?
Gerne! Unter BoysLove (aus dem japanischen Raum) oder GayRomance (aus dem amerikanisch/englischsprachigen Raum) versteht man Geschichten, die sich um die Beziehung zwischen zwei (oder mehr ;)) Männern drehen. Oft sind es reine Liebesgeschichten, wobei inzwischen Untergenres aller Art in die Werke mit einfließen ( zum Beispiel Fantasy, ScienceFiction, usw.). Das Besondere dabei ist, dass es sich zwar um männlich-homoerotische Literatur, also auf gut Deutsch schwule Protagonisten handelt, diese aber vornehmlich von Frauen für Frauen geschrieben wird. Natürlich gibt es auch männliche Autoren und Leser, aber den Löwenanteil wird von Frauen produziert und gelesen.
In Japan ist BoysLove ein fester Bestandteil der Mangakultur (und ein nicht zu verachtender Wirtschaftszweig der Verlage!) und in den USA erfreut sich die Thematik in den letzten fünf Jahren großer Beliebtheit im Roman- und Ebook-Bereich.
Und wie sieht es in Deutschland aus?
In Deutschland ist das Genre bislang außerhalb der Manga-Szene und der einschlägigen Internetplattformen relativ unbekannt. Man findet nur eine sehr begrenzte Zahl an Verlagen, die sich überhaupt mit der Thematik auseinandersetzen und meines Wissens keinen außer Cursed Side, der Übersetzungen publiziert. Die steigende Nachfrage beweist allerdings, dass ein großes Interesse seitens der Leserschaft nach neuen Stoffen besteht.
Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, einen Verlag zu gründen? Und warum gerade die Spezialisierung auf dieses Genre?
Zum Genre an sich bin ich schon vor gut zehn Jahren gekommen, als in Deutschland der große Manga-Boom ausbrach und damit BoysLove hier Fuß fasste. Die Thematik hat mich fasziniert und so habe ich – als passionierte Romanleserin, die ich immer noch bin – auch nach Text-Lesestoff in dieser Richtung gesucht. Nur wurde ich damals noch nicht wirklich fündig, denn außer der homoerotischen Literatur für schwule Männer gab es im deutschsprachigen Raum ausschließlich (Fanfiction-)AutorInnen, die im Internet publizierten.
Also habe ich es zunächst mit der Schwulen-Literatur versucht und war bitter enttäuscht, dass es dort meistens nicht das zu lesen gab, was ich als Frau lesen wollte (natürlich nicht, ich war und bin ja auch nicht die Zielgruppe dieser Bücher!). Also habe ich das Ganze im Romanbereich erst einmal ad acta gelegt und mich weiter mit Mangas beschäftigt, wo ich die Gelegenheit bekam, dem ein oder anderen Verlag über die Schulter zu schauen.
Vor etwa sechs Jahren bekam die Roman-Thematik dann einen neuen Schub, nachdem sich einige deutsche Kleinverlage zunehmend mit dem Genre auseinander gesetzt haben. Die Begeisterung war groß – bis ich die Preise der Bücher sah und erst einmal schlucken musste.
Was zunächst eine fixe Idee war, wandelte sich mehr und mehr zum ernsthaften Plan: Bücher mit männlich-homoerotischem Inhalt vornehmlich für Frauen zu publizieren, die sich jeder leisten kann. Das wurde nach einiger Vorplanung dann auch in die Tat umgesetzt.
Hatte jemand von euch eine Ausbildung bzw. Erfahrungen in der Branche oder habt ihr euch alles selbst beigebracht?
Teils teils. Ich habe zunächst durch mein Studium (Literaturwissenschaft) einen grundlegenden Einblick in die Verlagsthematik erhalten und hatte an der Universität auch die Möglichkeit, Informationen aus anderen Fachbereichen (Jura, BWL und Psychologie) einzuholen. Zudem hatte ich vor der Verlagsgründung die Gelegenheit, bei anderen Verlagen und heutigen Kollegen zu lernen. Meine Geschäftspartnerin hat viele Jahre als Sachbearbeiterin in verschiedenen Büros gearbeitet und ist damit routiniert in den organisatorischen Belangen, die in einer Firma anfallen.
Alles andere war im Großen und Ganzen „learning-by-doing“, was jedoch nie ohne die Unterstützung und den Rat von Fachkräften wie Grafikern oder Buch- und Comichändlern so gut geklappt hätte. Viele brancheninterne Gepflogenheiten und Abläufe haben wir so gelernt und umgesetzt.
Mit welchen Schwierigkeiten hattet ihr am Anfang besonders zu kämpfen? Oder lief da alles glatt?
*lach* Glatt lief gar nichts. Wir waren am Anfang schon ein wenig blauäugig, das gebe ich gerne zu. Zum einen gab es einfach organisatorische Probleme, die wohl jeder Firmengründer kennt, wie die Regelung von Abläufen in Projekten und Büro und das Einspielen einer Arbeitsroutine. Da mussten wir viel ausprobieren und testen, bevor wir unseren Weg gefunden haben.
Außerdem hatten wir erst einmal kaum Kontakte zu den Comic-Zwischenhändlern und Romane waren bei diesen nicht gerade beliebt. Dazu vielleicht ein Zitat eines heute sehr geschätzten Geschäftspartners auf der Leipziger Buchmesse 2008: „Nä, Mädel, Romane kannste vergessen, verkaufen sich nicht!“
Aber wir hatten auch viele Leute, die uns unterstützt und Mut gemacht haben, die bereit waren, ein Risiko mit uns einzugehen und etwas Neues zu probieren, auch auf die Gefahr hin, dass die Bücher vielleicht bei ihnen im Regal verstauben und nicht verkauft werden.
Was ich auch nicht verschweigen will, ist die angespannte, finanzielle Situation, die wir zu dieser Zeit hatten. Zwar haben wir immer kostendeckend gearbeitet, aber vor allem, weil unser Merchandise-Konzept aufging und auch hier viele Zeichner uns vertraut und mit uns zusammengearbeitet haben. Denn Bücher in adäquater Auflage zu produzieren ist am Anfang mit (für einen Kleinverlag) hohen Kosten verbunden. Trotzdem haben wir auf dieses Konzept gesetzt und nicht den zunächst einfacher wirkenden Weg über Print on demand gewählt.
Macht ihr zwei Geschäftsführerinnen alles allein oder habt ihr noch mehr Mitarbeiter?
Nein, wir machen nicht alles alleine, schon deswegen, weil wir für manche Arbeiten einfach nicht die fachliche Qualifikation haben. Meine Geschäftspartnerin Simone kümmert sich um alle organisatorischen Aufgaben wie Büro, Versand, Kundenservice, Kalkulation und Buchhaltung während ich die Arbeiten im Lektorat und der Projektdurchführung übernehme.
Wir haben auch einige freie Mitarbeiter. So werden Satz und Layout der Bücher, sowie alles Werbematerial von unseren Grafikern erstellt, denn hierfür haben weder Simone noch ich die nötige Ausbildung. Ich beurteile und korrigiere zwar das Ergebnis, aber die eigentliche Arbeit wird von studierten Kommunikationsdesignern ausgeführt. Im Lektorat unterstützen uns zwei freie Mitarbeiterinnen in der Textbearbeitung und auch das Korrekturlesen der fertigen Bücher übernehmen inzwischen externe Proofreader. Zudem haben wir auf Messen tatkräftige Unterstützung durch Mitarbeiter, die einen Teil der Standbetreuung übernehmen.
Gibt es etwas, was du Leuten raten würdest, die überlegen, den Schritt zum eigenen Verlag ebenfalls zu wagen?
Zunächst einmal würde ich empfehlen, sich über die Unternehmensgründung an sich Gedanken zu machen. Ein Verlag ist eine Firma und eine Firma ist keine gemeinnützige Einrichtung. Sie soll Geld erwirtschaften und dem Gründer im Idealfall einen Arbeitsplatz und ein Einkommen verschaffen. Es ist enorm wichtig, sauber und fair für alle Beteiligten zu arbeiten, aber im Zweifelsfall ist es der Inhaber, dessen Kopf in finanziellen Verpflichtungen steckt.
Eine Firma ist zudem – wenn man sie ernsthaft und mit Zukunftsperspektive aufbauen will – kein Hobby, sondern zeitintensive Arbeit. Die Akzeptanz von unregelmäßigen und ungewöhnlichen Arbeitszeiten und das Überwinden persönlicher Befindlichkeiten gehören zur Professionalität genauso dazu wie das nötige Fachwissen.
Wissen und Information sind auch die Stichworte, die ich jedem ans Herz lege, der sich mit dem Gedanken einer Verlagsgründung trägt. Angefangen bei Grundlagen in Organisation und Buchführung (wichtig für einen reibungslosen Büroablauf) über die Herstellung von Büchern, bis hin zur Festlegung eines Verlagskonzepts und dessen Umsetzung steht und fällt fast alles mit der Basis, die man sich durch Fachwissen schafft. Ob dieses nun aus Berufserfahrung, Büchern oder durch die Hilfe von Fachkräften geliefert wird, bleibt jedem selbst überlassen.
Und last, but not least: die Finanzen. Wer einen Verlag gründen will und auf das schnelle, große Geld hofft, sollte sich besser eine andere Branche suchen, denn Bücher machen vielleicht glücklich, aber nicht unbedingt reich. Die Gewinnspannen sind im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen klein (vor allem im Kleinverlagsbereich!), was den Druck auf Qualität und Quantität der Publikationen erhöht.
Wer kauft eure Bücher? Tatsächlich nur Mädels oder sind auch Jungs dabei?
Das Verhältnis liegt bei etwa 85% Frauen und 15% Männern.
Warum lesen Mädels eigentlich so gerne über schwule Jungs?
Das ist eine Frage, die mir sehr sehr häufig gestellt wird und bei der es schwer fällt, sie pauschal zu beantworten. Theorien dazu gibt es viele, aber das würde an dieser Stelle zu weit führen, deswegen möchte ich das herausgreifen, was für mich persönlich am zutreffendsten erscheint.
Viele Leserinnen stolpern wohl mehr per Zufall über das Genre und am Anfang ist es sicher für die meisten schlicht die Exotik und der kleine Hauch von Verbotenheit, der den Geschichten auch heutzutage noch anhaftet.
Was auf jeden Fall nicht zu leugnen ist, ist das generelle Interesse von Menschen an homosexuellen Paarungen des Gegengeschlechts, ein Motiv das in vielen Bereichen (Literatur, Film und Kunst) Verwendung findet.
Worin dieses Interesse nun begründet ist, möchte ich mir nicht anmaßen zu beantworten, denn dazu fehlt mir definitiv die Beweisgrundlage und das psychologische Wissen. Fakt ist, dass es sich hier ganz sicher nicht um einzelne Fälle von persönlichem Geschmack handelt, sondern sehr wohl um ein Massenphänomen.
In diesem Jahr kam ja die Frage nach schwulen Helden in Jugendbüchern oder Belletristik allgemein immer wieder auf. Etablierte Verlage und Händler klagen ja gleichermaßen, dass sie solche Bücher kaum verkaufen können.
Das Boys Love Genre dagegen erfreut sich auch in Deutschland ziemlicher Beliebtheit bei Mangaleserinnen. Also gibt es ja durchaus eine Leserschaft für gleichgeschlechtliche Liebesgeschichten. Woran liegt es deiner Meinung nach, dass die Thematik in anderen Genres so zu kämpfen hat? Hat man es nur noch nicht geschafft, diese Leser adäquat anzusprechen oder bewegen die sich nur sehr ungern aus dem Bereich der Manga und illustrierten Romane heraus?
Diese Frage kann ich ehrlich gesagt nur aus persönlicher Erfahrung heraus für die Belletristik beantworten. Ich denke, dass dem deutschen Publikum hier noch kein interessanter Lesestoff in ansprechender Form (Übersetzung und Aufmachung) angeboten wurde. Ich bin selbst ein Vielleser, aber auf meinen Streifzügen durch die Buchwelt ist mir noch nichts entsprechendes, deutschsprachiges von etablierten Verlagen untergekommen.
Im Bereich Jugendbuch habe ich zu wenig Über- und Einblick in das bestehende Angebot, weswegen ich dazu lieber nichts sagen möchte.
Du sagst, dass dir kaum interessanter Lesestoff untergekommen ist. Nun gibt es ja durchaus den ein oder anderen sehr guten Roman mit gleichgeschlechtlichen Protagonisten auf dem Markt. Sind die einfach nicht das, was BoysLove-Leser lesen wollen? Oder sind sie einfach nur so tief in der allgemeinen Belletristik vergraben, dass sie von potentiellen Lesern nicht erkannt werden?
Teils teils, denke ich. Die Titel aus der Belletristik, die mir bekannt sind, haben fast alle etwas Gemeinsames: kein Happy-End. Das ist in der Tat eine sehr subjektive Empfindung, aber wir sprechen hier ja auch von GayROMANCE, also von Liebesromanen in irgendeiner Form. Und diese Romane ohne Happy-Ends sind wahrscheinlich sogar oftmals realistischer und authentischer, für mich als Leser aber unglaublich frustrierend.
Verstehe. Dann sind viele Boys Love Fans eher Genreleser? So wie jemand, der gerne Romance liest, die in der Wikingerzeit spielt, nicht automatisch einen historischen Roman über die Wikingerzeit lesen wollen wird, weil es nicht nur die Thematik, sondern eben auch und vor allem das Genre mit seinen Konventionen ist, das er mag?
Ja, genau.
Wie reagieren eigentlich andere Leute auf das, was du machst? Führt die Kombination von zwei ungewöhnlichen Genres (Manga und Boys Love) zu schiefen Blicken?
Das kann ich mit einem klaren „Ja“ beantworten. Wobei ich anfügen möchte, dass ich die meisten seltsamen Blicke weniger aus Herablassung als vielmehr aus Unverständnis bekomme. Viele „szenefremde“ Menschen sind oftmals noch nie mit dem Genre oder dessen Umsetzung in Berührung gekommen und oft ist es schlicht die Neugierde, die Fragen aufwirft. Auf offene Ablehnung treffe ich dagegen relativ selten und wenn, dann meist von Leuten, die generell ein Problem mit Homosexualität oder firmenleitenden Frauen haben *lach*
Was können eure Leser in Zukunft von euch zu erwarten? Kannst du da schon etwas verraten?
Wir werden im kommenden Jahr auf jeden Fall unser Programm deutlich ausweiten und auch inhaltlich noch mehr Varianz bieten, damit jeder Leser auf seine Kosten kommt. Geplant sind neben drei deutschen Romanen auch eine Reihe von übersetzten Lizenzen. Im Januar startet unsere zweite Romanreihe mit „Liebe gegen jede Regel“ von Andrew Grey und im März erscheint der neue Roman von Katja Kober, der von Janine Sander illustriert wird. Außerdem arbeiten wir auch weiter an Mangatiteln und unserem Merchandiseprogramm.
Vielen Dank, Julia, für deine Antworten!
Cursed Side im Internet:
http://cursed-side.de/
http://de-de.facebook.com/CursedSide
https://twitter.com/CursedSideTalk
http://cursedsideblog.wordpress.com/
Vielen Dank, das Interview fand ich sehr interessant! Ich kannte den Verlag bisher nicht – zwar lese ich gerne Gayromance, aber meist im Original, weil es halt auch kaum Übersetzungen gibt.
Aber vielleicht kann ich nun auch mal endlich meine deutsch lesenden Freunde von dem einem oder anderem Buch überzeugen.
Ja, ich glaube das ist so ein typisches Nischengenre, das keiner der großen Verlage in seinem Programm halten könnte, weshalb es auch keiner übersetzt. Ich bin gespannt wie sich das noch entwickeln wird.
Mein Partner, Andrew, und Ich freuen uns über die Erscheinung der Romanreihe „Liebe …“ von Andrew Grey auf Deutsch!
Hey!
Ich hatte bisher kaum etwas von Boylove mitgekriegt. Für Mangas und Animes habe ich in letzter Zeit Neugier entwickelt. Viel Erfolg mit dem Verlag!