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[Rezension] Vera Hohleiter: Schlaflos in Seoul

1. Mai 2013
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schlaflos

“Wenn mir vor fünf Jahren jemand gesagt hätte, dass ich später in Korea leben würde, hätte ich es vermutlich nicht geglaubt. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich wegen eines schönen, aber launenhaften jungen Koreaners meinen Job, meine Wohnung und meine Freunde in Berlin zurücklassen würde.  […] Ich hätte auch nicht geglaubt, dass es ein Land gibt, das einen trotz intensiver Sprach- und Kulturstudien täglich verblüfft und einem manchmal das Gefühl gibt, es nie wirklich zu verstehen.”

Schlaflos in Seoul – Korea für ein Jahr
von Vera Hohleiter

Verlag: dtv, 2009
ISBN: 3423211539
Seiten: 192
Preis: 8,95 €

Die Versuchung
Nachdem ich hier im Blog auch immer wieder über koreanische Fernsehserien berichte, dürfte der Ursprung meines Interesses eigentlich klar sein. Ich war irgendwann einfach neugierig auf Land und Leute jenseits der Fernsehrealität. Bei der Suche nach (Reise-)Berichten bin ich auf dieses Buch gestoßen.

Was habe ich erwartet?
In den Amazon-Kommentaren wird das Buch sehr kontrovers diskutiert. Genau das hat mich abgeschreckt, weil ich möglichst vorurteilsfrei an Land und Leute herangehen wollte. Entsprechend skeptisch habe ich das Buch dann auch gelesen.

Was habe ich bekommen?
Aufgrund meiner Befürchtungen habe ich mich lange von dem Buch ferngehalten und es erst gelesen, als ich bereits selbst eine Weile in Seoul war und muss im Nachhinein sagen, dass das eine gute Entscheidung war. Die Autorin berichtet stellenweise so einseitig negativ, dass ich wohl Zweifel an meinen Reiseplänen bekommen hätte.

Eigentlich sollte es nur ein Monat werden, den Vera Hohleiter in Korea verbringen will. Doch dann lernt sie einen jungen Koreaner kennen und lieben und zieht einige Zeit später für ein Jahr nach Seoul. In dem Buch berichtet sie von ihren Erlebnissen und wie sie Land und Leute erlebt hat.

 
Wie gesagt, das Buch wird kontrovers diskutiert und hat angeblich auch in Korea einen Aufschrei der Empörung ausgelöst. Dabei ist anzumerken, dass die Autorin keine völligen Unwahrheiten erzählt, das aber sehr einseitig, verallgemeinernd und aus einer sehr deutschen Sicht tut. Zudem konzentriert sie sich mehr darauf, die (aus unserer Sicht) Wunderlichkeiten der dortigen Gesellschaft herauszustellen, als einem wirklich diese Menschen und ihre Kultur nahezubringen.

Natürlich ist so ein Reisebericht sehr subjektiv und es wird mehr als deutlich, dass Korea nicht ihr Land ist. Sie gibt am Ende selbst zu, dass sie es nie vollkommen verstanden hat und nicht weiß, ob sie es je tun wird. Tatsächlich hat mir jeder Ausländer, den ich dort getroffen habe, der schon länger im Land war, gesagt, dass man mindestens drei Jahre braucht, um dieses Land wirklich zu verstehen.
Aber gerade dann wäre es schön gewesen, wenn sie bei ihren Erzählungen einen bescheideneren, versöhnlicheren Ton angeschlagen hätte. Einen Ton der deutlich macht: Diese Menschen sind sehr anders und ich komme mit ihnen nicht zurecht, das bedeutet aber nicht, dass es schlechtere oder bessere Menschen sind als anderswo auf der Welt.

Kapitel über Kapitel erzählt sie wenig schmeichelhafte Dinge über das Land und verallgemeinert dabei so gut es geht. Beispielsweise beschreibt sie einen Besuch auf dem Postamt, bei dem die Postmitarbeiter sie ignoriert und andere koreanische Kunden sich vorgedrängelt haben. Das ist interessant, denn ich war in Korea zwei Mal auf einem Postamt. Beide Male wurde ich von zuvorkommenden Mitarbeitern gefragt, ob sie mir helfen könnten, wurde zum richtigen Schalter verwiesen und dort sogar einmal noch vor den koreanischen Kunden bedient. Was wir beide hatten waren individuelle Erfahrungen. Keine davon kann man zur Regel machen. Es gibt freundliche und unfreundliche Menschen in diesem Land, genauso wie es sie in Deutschland gibt.

Angeblich kann man in auch Seoul nicht schlafen, weil es rund um die Uhr überall so laut ist. Das kommt aber einfach auf die Gegend an, in der man wohnt. Ich habe in unserer Siedlung immer prächtig geschlafen – im Notfall mit Ohrstöpseln – und niemand, den ich hier kennengelernt habe, hat sich über Schlafprobleme beklagt. Noch besser ist ihre Analyse zu koreanischen Fernsehserien: Es spielen nur schöne Leute mit und man sieht sie nur an, um diese schönen Leute zu sehen. Das ist ungefähr so zutreffend, wie das gleiche über Hollywoodfilme oder US-Serien zu sagen. Es gibt einen wahren Kern, aber das ist eben nur ein Aspekt des Ganzen.

Das sind nur ein paar Beispiele für diese Art von Verallgemeinerungen und Behauptungen, an denen ich mich in diesem Buch immer wieder gestoßen habe, weil sie jedem Leser, der das für bare Münze nimmt, ein verzerrtes Bild liefern.

An ein paar anderen Stellen kann man auch über die Autorin nur den Kopf schütteln. Etwa, wenn sie die Kakerlaken aus Tierliebe in ihrer Wohnung nur einfängt und aus dem Fenster wirft und sich hinterher wundert, dass die Tierchen sich munter vermehren. Oder wenn sie als Vegetarierin in ein Land geht, in dem dieses Konzept weitgehend unbekannt ist, und sich dann beschwert, dass man ihr mit Unverständnis begegnet.

Ein weiteres Problem, das ich mit dem Buch habe, ist, dass sie sich so sehr auf diese wunderlichen und negativen Dinge konzentriert. Man könnte auch ein wunderbares Buch über Deutschland in diesem Stil schreiben. Über unsere Besessenheit mit Genauigkeit und Pünktlichkeit, über unsere Angewohnheit alles zu Tode zu diskutieren, über unser schwieriges Verhältnis zu unserer Vergangenheit, über die das Problem der Rechtsradikalität in einigen Gegenden und latenten Rassismus in Teilen der Gesellschaft. Über die konservativen Einstellungen in ländlichen Gegenden. Wenn man wollte, könnte man ein ganzes Buch voller negativer Dinge über Deutschland schreiben, die nicht ganz falsch sind. Aber das würde dem Land und seinen Bewohnern nicht gerecht, oder? Es gibt eine sehr gute Rezension bei Amazon von einer Koreanerin, die nach Deutschland gezogen ist und den Spieß umdreht. Sie schildert, was sie hier erlebt hat, wie unwohl sie sich gefühlt hat, dass sie aber mittlerweile auch die positiven Dinge erfahren hat, dass sie Land und Leute mittlerweile besser versteht und gerne hier lebt.

Auch Vera Hohleiter sagt in ihren letzten Kapiteln, dass sie den rauen Charme der Koreaner mittlerweile mögen gelernt hat. Die versöhnlichen Töne, die sie in diesem Abschluss anschlägt, lassen ahnen, dass sie es in Korea wohl doch nicht als so schrecklich empfunden hat, wie es in den Kapiteln davor oft klingt. Aber warum hat sie das nicht in ihren Bericht einfließen lassen? Warum hat sie nicht von den positiven Dingen gesprochen, die man in diesem Land erleben kann, von dem, was ihr gefallen hat? Ja, ich bin mehrmals derbe angerempelt worden (eine absolute Unart in Seoul), aber mir wurde auch häufiger, wenn ich an der Bushaltestelle im Regen stand, ein Schirm angeboten. Überhaupt hatte ich beim Lesen des Buches das Gefühl, dass ich in wenigen Wochen mehr positive Dinge erlebt habe als Vera Hohleiter in zwei Jahren. Es ist sicher nicht alles rosarot in Korea bzw. Seoul, und ich finde es auch richtig, das Land nicht romantisch zu verklären. Aber ich hätte mir gewünscht, das Buch wäre ausgewogener und mit mehr Feingefühl geschrieben worden und würde nicht so oft so wirken, als blicke hier eine verwöhnte, überhebliche Deutsche auf eine Kultur, die sie – auch nach eigenen Aussagen – nicht versteht.

Man darf natürlich bei all dem nicht vergessen, dass das Buch ein persönlicher Bericht ist und nicht den Anspruch erhebt, ein Fachbuch über das Land mit universellen Wahrheiten zu sein. Aber selbst wenn ich der Autorin zugute halte, dass es eben ihre ganz persönlichen Erlebnisse sind, glaube ich, dass sie ein ihren Gastgebern gegenüber faireres Buch schreiben hätte können, ohne etwas verschweigen oder verfälschen zu müssen.

Das Buch ist also nicht zu empfehlen, wenn sich jemand ein erstes Bild über Land und Leute machen möchte – zumal Seoul nicht repräsentativ für ganz Korea ist. Liest man es als das, was es ist: Einen völlig subjektiven Bericht einer Einzelperson, dann ist es sicher nicht uninteressant und durchaus unterhaltsam.

 

Wertung: 2,0 (von 5,0)

2 Kommentare leave one →
  1. 1. Mai 2013 18:05

    Habe schonmal auf einem Blog über das Buch gelesen und die Person war derselben Meinung wie du, alles wird total negativ dargestellt, dabei hatte ich eigentlich hohe Erwartungen an das Buch. Habs mir glücklicherweise nicht gekauft, auch wenn ich kurz davor war ^^

  2. 2. Mai 2013 09:40

    Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es schrecklich oft so ausgeht, wenn Deutsche über ihre Zeit im Ausland (oder vielleicht auch nur in einem asiatischen Land?) schreiben. Zumindest fällt mir das immer wieder bei Büchern über Japan und China auf. Da werden die Autoren zum Teil so beleidigend, dass ich dann gar nicht weiterlesen mag. Auch wenn ich keine persönlichen Erfahrungen in diesen Ländern gemacht habe, bin ich mir sicher, dass du recht hast und dass es möglich sein sollte einen ausgewogeneren und objektiveren Bericht zu schreiben (ohne seine persönlichen Erlebnisse verschweigen zu müssen).

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