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[Rezension] Lauren Myracle: Shine

1. September 2013
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“Even so, I was proud of myself for taking action at all. I didn’t hide or run away or pretend the ugliness didn’t happen. I stood up and said something that was true. I said it out loud, and by doing so, I was standing up for lots of people, not just me.”

Shine
von Lauren Myracle

Verlag: Audible 2012 (Buchausgabe: 2011)
Laufzeit: ca. 9 Stunden (ungekürzt)
Preis: 9,95 € im Abo, sonst 17,95 €

Die Versuchung
Vor einigen Wochen habe ich nach Hörbuchempfehlungen gefragt und sehr viele tolle Antworten bekommen. Danke noch einmal dafür. Das Buch, das mir spontan am ansprechendsten erschien, war dieses. Ich wusste auch, dass ich es schon einmal auf dem Radar hatte, konnte mich aber nicht mehr erinnern, wann und warum ich es dann nicht gelesen habe.  (Gerade kam mir zumindest für den ersten Teil dieser Frage eine Antwort: Ich habe über dieses Buch schon einmal im Rahmen des kleinen „Skandals“ um die National Book Awards berichtet).

Was habe ich erwartet?
Ich weiß nicht, ob ich es ohne Empfehlung gelesen hätte. Denn Lauren Myracle hatte bei mir mit einer Kurzgeschichte zuletzt keinen optimalen Eindruck hinterlassen. Und ich hätte es schade gefunden, wenn so ein Thema zu profan angegangen worden wäre.

Was habe ich bekommen?
Zum Glück wurde ich positiv „überrascht“, denn „Shine“ ist wirklich eines der besseren Jugendbücher, die ich in der letzten Zeit gelesen bzw. gehört habe.

Die sechzehnjährige Cat lebt in einem kleinen Städtchen in den Südstaaten. Was früher einmal ein wirtschaftlich florierender Ort war, ist mittlerweile verarmt. Fabriken und Läden mussten schließen, Firmen sind weggezogen. Als Cats Freund Patrick eines Nachts überfallen und mit einem Baseballschläger so schwer verletzt wird, dass er im Koma liegt, denkt die Polizei sofort an ein Verbrechen aus Schwulenhass, denn Patrick war offen homosexuell. Doch wer kommt als Täter in Frage? Ein paar Collegestudenten aus der nagegelegenen Stadt? Ein Durchreisender? Oder doch jemand aus dem Ort, wo das raue Leben die Menschen hart gemacht hat und man gerne Unliebsames unter den Teppich kehrt. Cat beginnt der Sache auf dem Grund zu gehen. Und muss sich dabei auch mit einem Vorfall in der Vergangenheit auseinandersetzen, der sie seitdem von Patrick und ihren anderen Freunden entfremdet hat.

Ich tue mich in letzter Zeit schwer, mich in Bücher einzufinden, aber diese Geschichte hat mich sofort förmlich eingesogen. Lauren Myracle beschreibt diese Stadt und ihre Bewohner so lebendig, dass man sie praktisch von der ersten Seite an vor sich sieht und sie beinahe fühlen und schmecken kann. Dass die Sprecherin des Hörbuchs mit einem leichten Südstaatendialekt liest, trägt dazu natürlich bei.

Der Roman ist einerseits die Geschichte der Aufklärung eines Verbrechens, aber auf der anderen Seite auch die einer ganzen Stadt und ihrer desillusionierten Bewohner, die ihren Kummer nur zu oft in Alkohol und Drogen zu ertränken versuchen und die das Leben rau und hart gemacht hat. Und es ist Cats eigene Geschichte, die nach einem sexuellen Übergriff Probleme hat, Nähe zuzulassen und seitdem alle Menschen in ihrer Umgebung auf Distanz hält. Die Suche nach Patricks Angreifer ist auch gleichzeitig ihr Weg, das Geschehene nach Jahren endlich zu verarbeiten. Die Figuren sind vielschichtig, weit mehr als einfach nur gut oder böse. Sie atmen, leben, haben Ängste und treffen nur zu oft falsche, aber auch menschliche Entscheidungen. Das ist ein Motiv, das diese Geschichte durchzieht: Entscheidet man sich für den leichten Weg, um sich selbst zu schützen und sieht weg, weicht allem aus? Oder geht man den an und für sich richtigen, aber schweren Weg und handelt, muss aber dann mit den Konsequenzen leben? Die Suche nach Patricks Mörder ist Cats Ausbruch aus dem Verhaltensmuster, das die ganze Stadt an den Tag legt: Sie sieht nicht mehr weg, geht den Problemen nicht mehr aus dem Weg, wie sie es bislang getan hat, sondern packt sie an, selbst wenn ihr das wenige Sympathien einbringt. Und deshalb ist „Shine“ auf vielen Ebenen ein Buch über den Mut zu sich und zu anderen zu stehen und nicht immer zu schweigen oder den Kopf einzuziehen.

Man könnte meinen, die Autorin hätte etwas zu viele „Problemthemen“ in ihr Buch gesteckt – Homophobie, Drogensucht, Missbrauch, Verarmung und einiges mehr -, aber die Stärke des Buches ist es gerade, dass die Autorin sich nicht an einem isolierten Thema abarbeitet, sondern ein in sich schlüssiges und durchaus realistisch anmutendes Gesamtbild zeichnet. Und dazu passt dann letztlich auch die Auflösung des Falles – obwohl ich sie meilenweit habe kommen sehen.

Und das ist vielleicht eine der Schwächen des Buches: Der detektivische Part ist nur halb so spannend, wie er sein könnte, weil man vieles im Voraus ahnen kann. Ich fand die Auflösung, also die Geschichte hinter dem Verbrechen trotzdem gut, aber ich hätte mir gewünscht, sie hätte die Hinweise etwas subtiler gestreut. Da „Shine“ aber ohnehin mehr als ein bloßer Krimi ist, fällt das nicht ganz so stark ins Gewicht.

Eine andere Sache, die mir negativ aufgefallen ist, sind die Teile des Romans, die wie halbherzige Pflichterfüllung der Autorin wirken, um eine bestimmte Leserschaft zufrieden zu stellen. Da wäre zum Beispiel die sehr zurückgenommene romantische Storyline, die so unterentwickelt ist, dass sie nach Fanservice riecht. Man hätte auf sie verzichten oder aber sie stärker einbinden können. Die Ansätze dafür sind ja da, aber der Love Interest ist trotzdem nur sehr notdürftig in die Handlung eingebunden und man hätte das Ganze viel mehr mit der Überwindung von Cats Trauma verknüpfen können. Und dann ist das noch das Ende, wo der Geschichte schnell ein allzu gefälliger, übereilter und schwer glaubwürdiger Abschluss aufgedrückt wird. Das dämpft meine Begeisterung für dieses sonst sehr gelungene Jugendbuch dann doch ein wenig.

Hatte Lauren Myracle bei mir mit ihrer Kurzgeschichte in „Tage wie diese“ einen eher durchwachsenen Eindruck hinterlassen, ist sie nun für mich definitiv eine Autorin, die ich im Auge behalten werde. Und es ist mir noch ein wenig unverständlicher, warum „Shine“ nicht auf der Nominierungsliste bleiben konnte. Es scheint mir zumindest thematisch ein deutlich besserer Kandidat gewesen zu sein als „Chime“.

Wertung: 4,0 (von 5,0)

4 Kommentare leave one →
  1. 8. September 2013 19:13

    Ah, die Autorin mit der Schweinegeschichte! Lustigerweise hatte mir diese Kurzgeschichte auch nicht so gut gefallen, klingt aber letztendlich besonders lange in mir nach. Während die erste Geschichte einen schönen Einstieg geboten hat und John Green eben green-mäßig schrieb, mochte ich ihren Part nicht so gerne und konnte mich trotzdem mit den Figuren anfreunden … Äh, was ich eigentlich schreiben wollte: Du machst mich neugierig auf diesen Titel! 🙂

    • 8. September 2013 20:26

      Das lustige ist ja, dass ich davor schon einmal etwas von Maureen Johnson (die erste Geschichte in der Anthologie) gelesen hatte und mir das so gar nicht gefallen hat, während die Geschichte in der Anthologie mein Liebling von allen dreien war. Also genau andersherum als bei Lauren Myracle.

      • 8. September 2013 20:35

        ich finde es ja eh immer überraschend wie sehr sich Romane und Kurzgeschichten des selben Autors qualitativ unterscheiden können. Nur wenige beherrschen beide Formen … Und Maureen Johnson hatte mit der ersten Anthologie-Geschichte auch einen dankbaren Einstieg! Bei mir hatte das Buch übrigens keine Lust auf weitere Geschichte der Autorinnen geweckt (John Green hatte ich ja vorher schon gelesen).

  2. 16. September 2013 15:06

    Ach, dir hat das Hörbuch gefallen.

    Da bin ich ja froh. Und jetzt weiß ich auch wieder, wie ich damals drauf gekommen bin – nämlich über deinen Bericht über den National Book Awards Skandal! Der Kreis schließt sich ,-)

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