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Der Oetinger-Verlag und die Ironie

8. April 2015

Im Moment befindet sich der Hashtag #oetingerverlag auf Platz 2 der deutschen Twitter-Trends. Der Grund dafür ist ein Foto eines an einer Schule gesichteten Posters, das aus einem Buch des Oetinger-Verlags mit dem Titel „Die inneren Werte von Tanjas BH“ stammt.
Dass dieses Poster einmal mehr schlichte Geschlechterklischees abbildet, finden viele problematisch und deshalb verbreitete sich heute das Foto und die Kritik daran heute Vormittag recht schnell. Der Oetinger-Verlag hat auch schon darauf reagiert und schreibt:

Dieses Plakat, das dem Buch „Die inneren Werte von Tanjas BH“ beiliegt, zeigt den Blick des dreizehnjährigen Ben auf gleichaltrige Mädchen. Ben tappt von einem Fettnapf in den nächsten, weil er sich von Geschlechterklischees leiten lässt. Der Leser lacht über Bens ironisch zugespitzte Verirrungen. Das Plakat folgt dem gleichen Prinzip und ist absichtlich so deutlich überzeichnet, um keinerlei Zweifel aufkommen zu lassen: Hier geht es nicht um eine ernst gemeinte Darstellung von Geschlechtereigenschaften, sondern um unter Jugendlichen in der Pubertät weit verbreitete Vorurteile. Wir als Jugendbuchverlag nehmen dieses Thema ernst und greifen hier zum Mittel der Ironie.

Quelle: https://www.facebook.com/VerlagsgruppeOetinger/photos/a.209445272407388.54861.132204040131512/987877747897466/?type=1&theater

Ich habe mit diesen Social-Media-Wellen zunehmend ein Problem. Erst kommt die große Empörungswelle, dann kommt die große Empörung-über-die-Empörungswelle und irgendwann ist es ein einziger Kindergarten, in dem keine sachliche Diskussion über das Thema mehr möglich ist (was Teilweise auch Ziel der Gegenwelle ist). Ich möchte trotzdem (oder vielleicht deshalb) hier ein paar Worte dazu sagen:

Früher hätte ich vermutlich zu der Fraktion „Ist die ganze Aufregung nicht übertrieben?“ gehört. Ist doch keine große Sache. Falls ihr das eben auch gedacht habt: Ich verstehe euch in gewisser Weise. Allerdings, wenn man für diese Dinge erst einmal sensibilisiert ist, dann sieht man, dass Kinder tagtäglich zunehmend mit diesen „kleinen Sachen“ beschossen werden und so werden dann auch die kleinen Sachen schnell zu Großen, die Wirkung darauf haben, wie Kinder sich und die Welt um sich herum sehen.

Oetinger sagt, dass sie „zum Mittel der Ironie“ greifen. Dabei fallen mir drei Dinge auf.

1. Die Zielgruppe des Buches und des Posters sind keine Erwachsenen. Es handelt sich um ein Kinderbuch (ab 11/12, schätze ich). Das Ironieverständnis von Kindern entwickelt sich erst im Laufe der Jahre und ist auch mit 12 nicht immer so ausgeprägt wie bei einem Erwachsenen, denn dazu braucht es eine gewisse Lebenserfahrung (gerade wenn es um gesellschaftliche Themen geht). Ein solcher ironischer Blick auf das Frauenbild eines Zwölfjährigen ist ein Blick aus Erwachsenensicht, nicht notwendigerweise einer aus Kindersicht.

2. Oetinger erklärt das Poster im Kontext des Buches. Das Buch ist auf dem Foto aber nicht dabei und keines der Kinder der Schule, in der es hängt, weiß, wie schrecklich ironisch das Buch, aus dem es stammt, doch ist. Losgelöst vom Buch ist es ein „Jungs sind schlau, Mädchen sind dumme Quasselstrippen, nur gut dafür, Modeitems an sich zu tragen“-Plakat. Es lässt sich zwar erahnen, dass das hier ein augenzwinkernder Blick darauf sein soll, wie pubertierende Jungs (angeblich) Mädchen sehen, aber das Augenzwinkern ändert ja nichts daran, dass hier einmal mehr platte Klischees abgespult und in den Köpfen von Kindern verfestigt werden. Dass etwas lustig gemeint ist, bedeutet nicht, dass es keine Auswirkungen hat.

3. Wir leben in Zeiten, in denen jeder Blödsinn plötzlich „ironisch“ oder „satirisch“ ist und gerne richtet sich diese Ironie gegen Leute, über die wir eh schon gerne unsere Witzchen reißen. Nennen wir das Ganze aber Ironie oder Satire, dann darf es niemand kritisieren, denn „Satire darf alles“ und überhaupt: Wenn du das nicht gut findest, bist du nur zu dumm, es zu verstehen. Satire ist aber dazu da, um Missstände aufzuzeigen, nicht um ungestört weiter seine Vorurteile zu pflegen oder Diskriminierung ein Tarnmäntelchen zu verpassen. Oder kurz: Gute Satire tritt nicht nach unten.

Gerne wird auch gesagt: „So sind Jungs/Kinder nun mal.“ Tja, das ist die Frage. Wie viel ist Natur und wie viel von der Umwelt erlernt? Klar werden Jungs und Mädchen sich immer mal gegenseitig aufziehen und ihre Konflikte ausfechten. Aber auf welcher Basis sie das tun, das ist von ihrer Umwelt beeinflusst. Und ich frage mich, ob wir als Erwachsene noch weiter gezielt einen Keil zwischen Kinder treiben müssen, indem wir wieder und wieder vorkauen wie angeblich „Mädchen nun mal sind“ und „Jungen nun mal sind“ und damit die Vorurteile, die wir einmal erlernt haben, an die nächste Generation weitergeben. Können wir die Kinder nicht ein bisschen in Ruhe lassen und sie sich selbst finden lassen?

Ich bin die Letzte, die Kinderbücher mit pädagogisch erhobenem Zeigefinger fordert – davon gibt es genug und sie sind zu Tode langweilig. Aber dieses Buch ist kein Beispiel für ein natürliches, lockeres Kinderbuch. Es handelt sich hierbei ebenfalls um ein astreines Konzeptbuch, ein Buch bei dem man sich gedacht hat: Nehmen wir doch mal den Kampf der Geschlechter in witziger Kinderbuchform zum Thema. Mario Barth füllt damit ganze Hallen, damit sind sicher auch Bücher zu verkaufen.

Ich denke, man kann die Wirrungen der Pubertät auch anders angehen. An vorhandenen Klischees abarbeiten kann sich jeder. Ich wünsche mir kreativere Jugendbücher und Werbematerial, das niemanden, weder Mädchen noch Jungs, herabsetzt oder in eine Schablone presst.

14 Kommentare leave one →
  1. 8. April 2015 16:12

    Bekommst für den Beitrag mal wieder rechts und links ein Bussi. Ich wusste, ich muss nur warten, bis auch Du auch mal etwas in der Art schreibst 😉 Und warte nur, was passiert, wenn Du weiter für das Thema sensibel bleibst.
    Was den Verlag angeht, so manövriert der sich in den letzten Monaten immer mehr ins Abseits. Durch so etwas, aber auch durch diverse andere Dinge, die als „innovative Neuerungen“ bezeichnet werden, von denen ich persönlich ja hoffe, dass sie sich nicht durchsetzen werden. Vieles davon macht mir sogar Angst – vor dem Hintergrund, dass sich das Programm an junge Leser wendet. Nicht zuletzt habe ich selbst ja im letzten Jahr dem Verleger ungläubig dabei zuhören dürfen/müssen, wie er bei einem Vortrag … na ja. Ich trage nichts mehr weiter, was mit dem Verlag zu tun hat.
    Das „Plakat“ ist entsetzlich und das in jeder Hinsicht, es lässt sich nicht schönreden. Abgesehen davon muss man sich nur mal umsehen um zu wissen, dass solche Witzchen, solche Ironie, solche Glossen immer nur auf Kosten von Frauen und Mädchen gemacht werden und wie es um die weltweit bestellt ist, sollten wir alle mal näher ins Auge fassen. Ich habe erst vorgestern einen wirklich gelungenen Artikel über weibliche Fantasyfiguren gelesen, in dem der Vergleich mit der lila Kuh aus der Werbung angebracht wurde. Je öfter die gezeigt würde, desto mehr Kinder glauben, dass Kühe tatsächlich so aussehen.
    Genau deswegen sage ich immer öfter – vornehmlich zu Frauen, denn mir geht nicht in den Kopf, dass die das mittragen und teilweise genauso unreflektiert weitergeben – wo eine Grenze zu ziehen ist. Bis hierhin und nicht weiter. Gott sei Dank lese ich in der großen Schreib-, Lese-, Bloggerwelt immer öfter kritischere Texte. Übrigens auch zu Büchern aus diesem Verlag.

    • 9. April 2015 13:10

      Ich bin für das Thema schon eine ganze Weile sensibel, ich hatte bisher nur noch keinen Grund, es hier zu erwähnen – obwohl ich mal überlegt hatte, die Verlagsvorschauen systematisch nach gegenderten Kinderbüchern durchzusehen, um mal zu sehen, wie weit wir mittlerweile sind und mal darüber zu schreiben. Aber die Oetinger-Sache kam mir jetzt zuvor.
      Aber ein Anstoß war tatsächlich unsere Ü-Ei-Diskussion, nach der ich angefangen habe, auf solche Dinge zu achten und überrascht war, wie viel man einfach gar nicht mitbekommt und wie sehr man die ganzen Klischees verinnerlicht und gar nicht erst hinterfragt. Und wie teilweise Kinder von uns ins rosa/blau-Schema gepresst werden. Stichwort: Das magst du nicht, das ist für Mädchen!
      Und der andere Anstoß war der krasse Antifeminismus im Netz. Wie diese Rollenbilder und Klischees mit Zähnen und Klauen und Beschimpfungen verteidigt werden, als würde die Welt ohne sie zusammenbrechen. Das ist doch vollkommen bekloppt.

      Schon lustig: Wir lassen so was auf Kinder los und fragen uns dann später, warum Frauen sich oft so wenig zutrauen und werfen ihnen oft noch vor, selbst Schuld zu sein, wenn sie im Berufsleben nicht so forsch und selbstbewusst vorgehen wie Männer. Das finde ich schon verdammt zynisch.
      Jungs gegenüber ist das Poster übrigens auch unfair, es drängt sie auch in eine Rolle, die sie vielleicht gar nicht spielen wollen. Einige Männer meinten auch bei Oetinger auf fb, dass sie Mädchen nie so gesehen hätten.
      Ich glaube Jungs und Mädchen fechten ihre Kämpfe schon allein aus, da müssen wir als Erwachsene nicht noch mit dummen Postern nachhelfen, die ihnen sagen, wie sie sich gegenseitig zu sehen haben.

      Weißt du noch welcher Artikel das mit der lila Kuh war? Erinnert mich an Kameron Hurleys „We have always fought“, in dem sie ähnlich argumentiert (aber mit Lamas). Es geht darum, dass es zu allen Zeiten weibliche Krieger gegeben hat, dass davon aber kaum einer weiß, weil unser Bild so geprägt ist, dass nur Männer Krieger sind. Falls du den noch nicht gelesen hast, kann ich sehr empfehlen!

      Ja, auf Oetinger bin ich auch seit einer Weile nicht mehr allzu gut zu sprechen, nachdem sie ein Jugendbuch als große Liebesgeschichte verkauft haben, in dem das Mädchen von ihrem Freund vergewaltigt wird und aus Liebe zu ihm zurückkehrt.

      • 9. April 2015 13:39

        Wie gesagt, ich freu mich einfach (vor allem, wenn ich Stein des Anstoßes sein kann). 🙂 Ich weiß ja selbst noch, wie man mich um Studium „zwang“ in einige Gender-Vorlesungen zu gehen und ich das doof fand. Aber einmal ein Auge drauf, kommt man nicht mehr so wirklich davon los.
        Ich bin gerade dabei, ein paar Geschenke für ein Baby, das noch nicht auf der Welt ist, zusammenzustellen. Wie das so ist, rücken die Eltern nicht damit raus, was es werden soll und sagen jedem, er solle einfach geschlechtsneutral (farblich) einkaufen. Haha, viel Spaß dabei. Das war tatsächlich vor zehn Jahren noch wesentlich einfacher.
        Der „schon lustig“ Absatz: So ähnlich lese ich das vor allem, wenn es um GNTM geht, da kann man das nämlich – wenn man seine Zeit denn so verschwenden möchte – in Reinform sehen. Und es ist eine Frau, die das macht, wohlgemerkt.
        Habe den Artikel noch hier, in einem Magazin. Gerne per Mail mehr. Wollte Dich neulich mal anschreiben und etwas wegen Nähen fragen, leider kässt Du Deinen Lesern da keine Chance (oder ich war zu doof, um was zu finden, also außer dem Formular).
        Das Buch, das Du erwähnst, ist in dem Verlagsprogramm leider keine Ausnahme.

        • 15. April 2015 19:10

          Das Kontaktformular hat zur Aufnahme des Erstkontakts bislang eigentlich immer ganz gute Dienste geleistet. Kannst mir aber auch direkt schreiben unter nijakaie[at]gmail.com.

  2. 8. April 2015 20:44

    Lustigerweise habe ich bei der „Intelligenzausgabestation“ von einer „ABgabestation“ gelesen – und das hätte besser gepasst, weil selbstironisch. Man hätte die Gefühle des Jungen gesehen, die Versagensanst. Daher stimme ich dir zu: Es hätte nich so einseitig sein müssen.

    Was aber untergeht: Jungs sehen sich nicht als König der Welt. Weder bevor noch nachdem sie so ein Plakat sehen. Ganz im Gegenteil: Die kleinen und großen 😛 Jungs in meinem Umfeld wissen genau, wo sie stehen; sie haben Zweifel und Ängste.

    Und vielleicht träumen sie, wenn sie das Plakat sehen, davon, dass die Welt echt so einfach ist.

    Mädchen sind in diesem Alter manchmal… bäh 😛 Aber wir sollten niemanden drauf reduzieren. Ganz im Gegenteil: Wir sollte hinter die Fassade blicken!

    • 9. April 2015 13:13

      Wie ich sagte: Das Plakat arbeitet mit Klischees, weiblichen und männlichen. Die weiblichen sind schädlicher für die Mädchen, weil es ihnen wie so oft Intelligenz und Fähigkeiten abspricht, aber unfair ist so was beiden gegenüber, wenn wir sie als Erwachsene mit unseren Klischeevorstellungen füttern und gegeneinander ausspielen.

      Ach, Jungs, in dem Alter doch auch nicht besser. Ist halt Pubertät, da darf man bäh sein, weil man sich auch bäh fühlt. 😉

  3. 9. April 2015 04:27

    Die Jungs in dem Alter, die ich kenne und kannte hatten mit Ironie soviel am Hut, wie rosa Tapete. Nichts.
    Wenn Jungs was sagen, dann meinen sie das meist auch eins zu eins.
    Wenn Jungs was sagen, dann setzen sie darauf, dass was sie sagen eine gewisse Wirkungen hat und das ist meist direkter.
    Das Poster „braucht“ eine Erklärung vom Verlag, man könnte auch sagen Rechtfertigung, das heißt im Grunde nichts anderes, als die „Werbung“ funktioniert nicht.
    Und Werbung, die nicht funktioniert ist ihr Geld nicht wert.
    Zum Inhalt des Buches werden manche deshalb gar nicht vordringen, weil selbst die Zielgruppe in den meisten Fällen nicht über die nervigen Mädchen lesen will. Der durchschnittliche Junge liest in dem Alter oft Geschichten in denen maximal eine „Quotenfreundin“ vorkommt.
    Manchmal denken Erwachsene zu viel, wenn es um Bücher für Kinder geht und manchmal zu wenig. Was hier im aktuellen Fall zutrifft kann ich nicht beurteilen. 😉

    • 9. April 2015 13:21

      Marketing ist halt auch einfach verdammt faul und Mann-Frau-Klischees ziehen immer (siehe Mario Barth). Keine Ahnung, warum die Leute gerade darauf so verdammt versessen sind. Muss doch auch irgendwann öde werden.

      • 9. April 2015 18:54

        Marketing … es wird aber auch überall gespart, gell?
        Mario Barth ist einer der Comedian, dessen Erfolg ich ihm einerseits gönne, jeder der mit seinem Ding seinen Lebensunterhalt bewältigen kann ohne jemand anderem dabei offensichtlich zu schaden hat mein Einverständnis. Anderseits, konnte ich glaube ich nur über eine handvoll seiner Gags lachen, meistens schalte ich um. Ist einfach nicht mein Ding wird es wohl in diesem Leben auch nicht mehr …

  4. Rishu permalink
    9. April 2015 19:19

    Dem gibt es nichts mehr hinzuzufügen, und deshalb habe ich deinen Beitrag auch so ohne Zusatz auf Facebook geteilt. Amen!

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