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Mein John-Green-Problem

14. Juni 2015

Ja, ich gestehe es, ich habe ein Problem mit Everybody’s Lieblings-YA-Autor. Das kommt jetzt bestimmt überraschend, schließlich habe ich seine Bücher in der Vergangenheit immer gut besprochen, aber mittlerweile lässt sich meine JG-Sperre nicht mehr leugnen und sie wird eher schlimmer als besser. Das hat natürlich Gründe – für einige davon kann er etwas, für andere nicht.

Der Beginn des Problems hört auf den Namen „The Fault in our Stars/Das Schicksal ist ein mieser Verräter“. Getragen von meiner Sympathie für den Autor hatte ich erst noch eine relativ positive Einstellung zum Buch, obwohl mich da schon einiges störte, aber je länger ich darüber nachgedacht habe, desto weniger mochte ich es. Auf die genauen Details kann ich nicht eingehen, sonst würde ich hier spoilern, deshalb nur kurz: Nimm zwei verliebte totkranke Kinder, packe ein paar Lebensweisheiten drumrum und alle werden unter Tränen beteuern, für wie bedeutungsvoll sie dein Werk halten, obwohl es in weiten Teilen einfach nur heiße Luft und nicht weniger manipulativ und klischeehaft ist als andere „Krebsbücher“.

Dass dieses Buch massiv überschätzt wird, ist eines der Dinge, für die Green nichts kann. Auch nicht dafür, dass ihn plötzlich Literaturkritiker beachten, die davor Generationen von Jugendbuchautorinnen nur naserümpfend von sich gewiesen haben. Offenbar ist Jugendliteratur für die Literaturkritik erst dann erstzunehmende Literatur, wenn sie von einem Mann kommt. Das Phänomen hat auch einen Namen: der John-Green-Effekt. Deshalb fragt man John Green auch ständig nach seiner Meinung, selbst wenn es ein Thema ist, mit dem er eigentlich nichts zu tun hat. Aber wenn John Green die Aufregung seiner weiblichen Kollegen übertrieben findet, dann muss das wohl so sein. Problem gelöst.

Aber für die Problematik, wie Frauen in der Literatur dargestellt werden, hat er auch in seinen eigenen Büchern nicht viel Sinn. Shiku hat da in ihrer Rezension zu „The faul in our stars“ ein paar interessante Punkte aufgezählt. Und sie ist nicht die erste, die diese Kritik äußert. Man mag diese Punkte ja sehen wie man will, aber ich kann keinem Jugendbuchautor uneingeschränkt zujubeln, der für solche Dinge nicht sensibel ist und wir sprechen hier ja noch immer von „meinem“ John-Green-Problem.

Dass er von Aufgeregtkeit nichts hält, hat er wohl selbst nicht beherzigt, als er dieser Tage den Post eines Tumblr-Users aufgriff, in dem dieser sein Unbehagen darüber äußert, dass Green als erwachsener Mann so kuschlig mit seinen Fans, oft sich unverstanden fühlenden jungen Mädchen, ist und dass er ihm vorkommt wie der Vater in seinem Freundeskreis, der sich immer anbietet, die Poolpartys zu überwachen, und dann seinen Liegestuhl allzu nah neben die der Mädchen stellt.

Man muss mit solchen Dingen sensibel umgehen. Ich halte diesen Post für eine schwierige Sache. Einerseits steht da natürlich eine heftige Anschuldigung im Raum (obwohl es noch gar keine Anschuldigung an sich ist, sondern nur das Äußern eines persönlichen Eindrucks), andererseits… Nun, wie Jenny Trout auf Twitter ganz richtig sagte: Wir erwarten immer von Kindern und Jugendlichen, dass sie wachsam sind und dass sie etwas sagen, wenn ihnen jemand nicht geheuer ist. Und genau das ist hier passiert. Ein Jugendlicher auf Tumblr hat gesagt, das ihm John Green nicht geheuer ist. Und genau deshalb braucht diese Sache eine sensible und vernünftige Auseinandersetzung.

Ich verstehe, dass Green diese Vorwürfe nicht auf sich sitzen lässt und sie anspricht, was sein gutes Recht ist. Aber er tut das auf eine Art und Weise, die ich problematisch finde.  Er fängt sofort an mit „You want me to defend myself against the implication that I sexually abuse children?“ Aber von „abuse“ stand nichts im Originalpost, der äußerte Unbehagen. Er fährt fort: „Throwing that kind of accusation around is sick and libelous and most importantly damages the discourse around the actual sexual abuse of children.“ Da fährt er natürlich sofort schwere Geschütze auf und unterstellt dem Post damit letztlich nur aus böser Absicht entstanden zu sein, um ihm zu schaden. Das lese ich aber aus dem Post nicht heraus – aus den Antworten darauf ja, aber aus dem Post selbst nicht. Ich denke, hier muss man klar differenzieren und in Betracht ziehen, dass man hier wirklich einen jugendlichen Leser mit Bedenken vor sich hat.
Ich erwarte deshalb von einem Jugendbuchautor, der seinen Fans so nah ist, dass er einen vernünftigen Umgang mit so etwas findet, einen bei dem er sich klar von den geäußerten Bedenken abgrenzt, aber auch einen, bei dem er die Sensiblität des Themas miteinbezieht, denn viele Kinder und Jugendliche schweigen, weil sie befürchten, dass man ihnen nicht glaubt, weil es zu „unglaubwürdig“ ist, dass der nette Onkel, die nette Tante, „so was“ tun könnte. Das muss man einfach immer miteinbeziehen, wenn man auf eine solche Äußerung eines (vermutlich) Jugendlichen eingeht. Hier ein kategorisches Tabu aufzubauen, statt sensibel aufzuklären, ist der falsche Weg. Green wirkt auf mich eher beleidigt als betroffen, was meinen Eindruck bestätigt, dass er seiner Zielgruppe nicht so nahe ist, wie er gerne vorgibt und dass er sich etwas zu gerne von ihr feiern lässt und etwas zu wenig ehrliches Interesse hat.
Er kündigt an, in Zukunft weniger zu reposten und schon heult die ganze Fanmeute, die quasi an seinen Lippen klebt, auf. Ich hoffe, das war kein Kalkül, obwohl ich es mir bei jemandem, der so social-media-erfahren ist, nicht vorstellen kann. Jemand wie Green MUSS wissen, dass seine Fans ihn mit Klauen und Zähnen verteidigen werden, vor allem wenn sie befürchten müssen, weniger Output von ihm zu bekommen. Und alle möglichen YA-Seiten blasen nun unreflektiert ins gleiche Horn. Böser Tumblr-Troll, armer John Green. Schwierig.

Ich finde es hochproblematisch, wie Green zum Erlöser der Jugendliteratur gemacht wird, der nichts falsch machen kann, denn das ist er einfach nicht. Sehen wir ihn doch lieber als eine Stimme im weiten Feld der Jugendliteratur, die absolut seine Daseinsberechtigung hat, aber neben der es noch viele andere wichtge Stimmen gibt und die nicht über jede Kritik erhaben ist.

4 Kommentare leave one →
  1. 19. Juni 2015 15:31

    Puuuh, schwierig, sehr schwierig. Danke für diesen kritischen, aber fairen Post. Ich hatte diese Tumblr-Sache gar nicht richtig mitbekommen und bin vielleicht auch ganz froh darüber. Ich mag John Green sehr, sehr gerne. Seine Art, seine Bücher, seine Videos, und ich halte ihn auch für authentisch. Ich finde nicht, dass er DER Retter des YA-Genres oder sonstwas ist. Er ist durch seine Videos einfach sehr präsent, aber ich bin immer wieder beeindruckt wie er all diese Präsenz auch für wohltätige Zwecke nutzt.
    Es stimmt, dass man niemanden auf einen goldenen Podest heben sollte und die Person von dort oben nichts und niemals etwas falsch machen kann oder nicht mehr mit dem selben strengen Blick begutachtet werden sollte wie andere Autoren, aber mir tut John Green auch oft leid. Klar, er hat sich das selbst ausgesucht und er könnte sich ja auch mehr vom Internet zurückziehen und so, aber ich sehe in ihm in erster Linie immer einen Menschen, der da so reingerutscht ist in diese Bekanntheitsblase und nun versucht mit dieser Aufmerksamkeit richtig tolle Dinge auf die Beine zu stellen (Crash Course, Project For Awesome usw.). Klar gibt es bei so viel Präsenz immer Leute, denen das gegen den Strich geht. Manchmal berechtigt, manchmal einfach nur aus Neid. Dass er sich dann sowas wie aus dem Tumblr-Post anhören muss, finde ich hart. Es stimmt zwar, was du sagst, dass es vollkommen akzeptabel geäußert wurde und es das gute Recht der Person ist so etwas zu sagen, aber es tut mir eben immer Leid, wenn er solche Arten von Anschuldigungen abbekommt oder ständig für alles sofort kritisiert wird. Jeder macht eben auch mal Fehler (ich rede jetzt von so Sachen wie dem BEA-Panel, wo er kritisiert wurde, weil bis auf die Moderatorin nur Männer auf der Bühne waren), aber die meisten haben nicht das Pecht dabei auf Schritt und Tritt überwacht zu werden.

    • 22. Juni 2015 11:43

      Danke für deine Meinung zu dem Thema. 🙂 Ich weiß ja, dass du ihn sehr gerne magst, deshalb freut es mich, dass du was dazu sagst.

      Ich möchte doch noch was zu dem Panel sagen, das du angesprochen hast. Ich halte die Kritik in diesem Punkt nicht für unberechtigt und eigentlich schlägt das in die gleiche Kerbe wie einige andere Dinge, die ich schon erwähnt habe.
      Zunächst ist er eine Person des öffentlichen Lebens. Seine Aktionen werden beobachtet und beurteilt werden. Mal positiv, wie sein soziales Engagement, mal negativ wie in diesem Fall.

      John Green hat in der Szene enorme Macht. Er ist erfolgreich, er hat eine Gefolgschaft begeisterter Fans, er wurde von der Literaturkritik angenommen und ja unter anderem auch, weil männlich, weiß und heterosexuell ist – und dann gilt deine Meinung und dein Tun in bestimmten Kreisen schon automatisch mehr. Das ist natürlich kein Vorwurf an ihn, dafür kann er nichts, aber er könnte sich dieser strukturellen Benachteiligungen und seiner eigenen Privilegien mehr bewusst sein und entsprechend handeln.
      Zum Beispiel einfach mal keinen Kommentar abzugeben, wenn er in einer Sache, die vor allem Frauen betrifft, nach seiner Meinung gefragt wird – und wenn schon bitte nicht zu antworten, die Diskussion würde zu „aufgeregt“ geführt (da haben wir die wieder, die aufgeregten, hysterischen Frauen). Damit fällt er seinen Kolleginnen in den Rücken, indem er den Leuten die Legitimierung gibt, ihre Kritik auf die übliche Weise abzutun. John Green hat gesprochen und wenn DER John Green das sagt … Nach so vielen Jahren müsste er wissen, welches Gewicht seine Worte haben und mit ihnen sorgsamer umgehen.
      Gleiche Sache mit dem Panel. In der YA-Szene ist seit Monaten das Thema Nr. 1 „Diversity“ und seit Monaten wird berichtet, dass Frauen in der Filmbranche schlechter bezahlt werden als Männer. Und dann setzt er sich ernsthaft in ein Panel zu seinem eigenen Film, in dem nur Männer sitzen? Er ist jemand, der die Macht hätte, Veränderungen voranzutreiben, weil sein Wort so viel zählt, aber ich sehe nicht, dass er sich darum bemühen würde. Im Gegenteil, er genießt seine Privilegien und seinen Erfolg, geht aber nicht umsichtig damit um.
      Dafür verdient er keinen Shitstorm – es ist ja immer noch seine Entscheidung, wofür er sich einsetzt – aber ich halte es für vollkommen legitim, ihn dafür zu kritisieren.

      Insofern ist mein John-Green-Problem tatsächlich ein zweiteiliges. Ich halte ihn für einen grundsätzlich netten Typen, ich mag die meisten seiner Bücher, aber ich halte ihn auch für zu kurzsichtig und unreflektiert bestimmten Dingen gegenüber. Gleichzeitig wurde er von Fans, Medien und Literaturkritik auf ein Podest gehoben, das seinen Worten mehr Macht verleiht als irgendeinem anderen Autor/einer anderen Autorin in der aktuellen Szene. Deshalb wird er auch so oft kritisiert, wenn er etwas tut, was problematisch ist – weil es bei ihm einen viel größeren Effekt hat als bei vielen anderen.

  2. 21. Juni 2015 09:10

    Wow, danke für diesen Kommentar. Ich hab vom Tumblr-Vorfall noch nicht gehört gehabt und ich weiß nicht, wie ich im ersten Moment darüber gedacht hätte, ehe ich deine Erklärung gelesen habe.

    Aber du sprichst etwas sehr wahres an.

    Natürlich hat der Tumblr-Post jetzt *trotzdem* bewirkt, dass ich John Green nun irgendwie creepy finde – und das an sich mag jetzt an sich auch eine schlechte Sache sein. Insofern kann ich schon nachvollziehen, dass der Autor da aus seiner Betroffenheit gleich scharf zurückgeschossen hat.

    Ich will nicht sagen, dass Green falsch reagiert hat oder dass der Tumblr-Jugendliche alles richtig gemacht hat – das sagst du ja auch nicht.
    Aber du hast absolut recht:

    Gerade dieser Fall, der sicher auch in der Blogosvere gerade rund geht, sollte sensibel und aufrichtig behandelt werden – und dann könnte er sogar ein Beispiel setzen.

    Danke, dass du mich da zum Nachdenken angeregt hast.

    • 22. Juni 2015 11:51

      Danke für deinen Kommentar. 🙂

      Ich finde es einfach langsam unheimlich, welchen Status John Green bekommen hat, als wäre er quasi unantastbar und jede Kritik an ihm würde sich automatisch verbieten, weil er ja so ein netter Typ ist, der so schöne Bücher schreibt, die bei den Kids so toll ankommen. Da geht man schon mal kollektiv auf einen Heranwachsenden los, weil der John Green creepy findet.

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