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Fernweh und Loslassen

28. Juni 2017

Vor etwas mehr als drei Jahren bin ich nach drei aufregenden Monaten aus Seoul zurückgekehrt und sagte damals ganz melodramatisch, dass ich das Gefühl hätte, ein winziger Teil von mir sei dort geblieben. Aber irgendwann, zurück in der Realität, beschäftigt mit den Hürden des Erwachsenenlebens, schlief der Teil ein und regte sich nur noch hin und wieder. Vor Kurzem begann ich dann „An guten Tagen siehst du den Norden“ von Sören Kittel zu lesen, eine Reiseerzählung über Südkorea, die ich auf der Messe entdeckt hatte, und plötzlich zog er wieder, der Teil von mir am anderen Ende der Welt, und für einen Moment schnürte es mir die Kehle zu, und ich musste das Buch schließen. Da war es plötzlich, das Fernweh, das ich früher eigentlich nie verspürt hatte, weil ich ein Stubenhockerkind aus einer Stubenhockerfamilie bin.

Als ich damals im Flieger nach Südkorea saß, erschien mir die ganze Welt plötzlich so nah. Mir wurde mit einem Mal klar, dass ich diese fernen, fremden Orte tatsächlich erreichen und selbst sehen kann, einfach indem ich mich in ein Flugzeug setzte. Klingt nicht wie die größte Erkenntnis, aber für mich war sie das. Für mich, die mit ihren Eltern bestenfalls in die Berge gefahren war und ein paar europäische Städte gesehen hatte, war „Reisen“ eine völlig neue Welt.

Im letzten Jahr kam das Thema dann noch mal verstärkt in mein Leben, weil mir die Redaktionen für zwei ganz tolle Reiseberichte angeboten wurden, deren Autor*innen, jeweils einen ganz anderen, ganz wundervollen Zugang zu dem Thema hatten.

Und so rumort es in mir. Dieser Teil am anderen Ende der Welt, der den Rest von mir zu sich ruft, weil ich mit diesem Land voller Wiedersprüche noch lange nicht „fertig“ bin. Die Reiselust, die geweckt und doch irgendwie zaghaft ist, weil ich schüchtern und ein kleiner Angsthase bin. Und im Grunde würde mich nichts daran hindern, meine Sachen zu packen und loszuziehen. Ein Laptop und eine Internetverbindung sind alles, was ich zum Arbeiten brauche, und mein Auftragsbuch ist gut gefüllt. Wäre da nicht noch etwas …

Als ich damals aus Korea zurückkehrte, fiel ich in ein Loch. Nicht nur, weil mir Deutschland im Vergleich zu Korea irgendwie laut und überfordernd erschien (weil ich plötzlich in der Bahn wieder alle Durchsagen, Werbebotschaften und Gespräche verstand), sondern auch, weil alle meine Probleme, die ich zurückgelassen hatte, um in der Ferne einen neuen Blick auf sie zu gewinnen, am Flughafen auf mich warteten – und auch mit neuem Blick noch ziemlich erdrückend waren. Im Nachhinein hatte die Zeit in Korea großen Einfluss auf meinen Werdegang. Dort erledigte ich meinen ersten freien Redaktionsauftrag, dort beschloss ich, noch ein Jahr auf die Uni zu gehen, um Übersetzerin für literarische Texte zu werden. Aber das musste sich erst entwickeln, und ich musste mich erst durchringen, die Entscheidung für die Selbstständigkeit und gegen die Festanastellung im Verlag nicht als Niederlage zu sehen. Das dauerte, das war hart, und das war notwendig.

Jetzt habe ich meinen Beruf gefunden, habe einen verlässlichen Stamm an Auftraggebern und komme auch innerlich langsam zur Ruhe. Aber in gut 36 Jahren Leben sammelt man fast zwangsläufig Balast an – physisch und psychisch. Und ich weiß einfach, dass ich nicht noch mal losziehen kann, ohne einen Teil dieses Balasts loszuwerden, damit er mich nicht wieder überfällt, sobald ich in Deutschland lande.

Da wäre einmal die Wohnung, in der ich seit über 10 Jahren wohne, und in der sich die Dinge angesammelt haben. In den letzten beiden Wochen habe ich meinen Kleiderschrank ausgemistet und gut die Hälfte aller Kleidungsstücke in Tüten verpackt und zu einem Altkleidercontainer einer vertrauenswürdigen Organisation gebracht. Und es fühlte sich ungemein befreiend an. Ich hatte fast 20 Jahre lang die gleiche Kleidergröße und jetzt in den letzten beiden Jahren etwas zugenommen. Meine Proportionen sind anders, mein Geschmack ist anders, ich bin nicht mehr 20 und fühle mich auch nicht mehr so. An einigen Stücken hingen nostalgische Gefühle, aber ich wollte sie nicht mehr notwendigerweise anziehen – weil das nicht mehr ich bin. (Tolle Kleider, die zu klein geworden sind, habe ich allerdings in die Nähkiste gepackt, als Inspiration für zukünftige Projekte).

Ich habe auch das erste Mal einen öffentlichen Bücherschrank besucht und 5 Bücher eingestellt, von denen eines binnen 2 Minuten eine neue Besitzerin fand, und ich war plötzlich seltsam glücklich, weil ich es so deprimierend finde, dass man ältere Bücher nicht mal mehr für ein paar Groschen verkaufen kann, dass sie plötzlich nichts mehr wert sind und sie keiner mehr zu wollen scheint. Zu sehen, dass sie eben doch noch gewollt werden – wenn auch umsonst, aber das ist mir egal -, war irgendwie schön. Und ein nettes Kochbuch fand bei mir ein neues Zuhause. Schönes Projekt, das ich in Zukunft noch häufiger besuchen werde.

Und so werde ich mich in den nächsten Monaten durch meine Wohnung räumen. Ziel ist, am Ende nur noch halb so viel zu besitzen. Dinge zu verwerten, weiterzugeben und wegzuwerfen, was niemandem mehr nützt.

Auch sonst ist einiges in Bewegung. Nach einem Jahr Stubenhockerei habe ich mich zu einem Boulder-Kurs angemeldet, weil ich Klettern schon immer eine faszinierende Sportart fand und einfach auch etwas Bewegung brauche (früher hatte ich ja wenigstens noch die morgendlichen Spurts zur Bahn …). Im Grunde hasse ich fast alle Sportarten, ein Hass der mir von garstigen Sportlehrerinnen liebevoll antrainiert wurde. Und irgendwie ist es auch Zeit, den loszulassen. Ich merke, wie gut es mir tut, unter neue Leute zu kommen, und wie sehr ich bei diesem Sport loslassen kann, weil er alle Körperteile und den Kopf so fordert, dass Grübeleien keinen Platz haben. Gestern habe ich dann die ersten Kletterschuhe meines Lebens gekauft, und sie fühlen sich großartig an. (Okay, das ist übertrieben, Kletterschuhe müssen richtig eng sein, und großartig ist definitiv nicht das richtige Wort, aber ihr wisst, was ich meine. :D)

Und dann wären da noch die Menschen in meinem Leben. So aufwühlend und verwirrend die Zeiten, in denen wir leben, auch sind, sie lassen einen Menschen auch noch einmal in einem anderen Licht sehen, man findet Gleichgesinnte, wo man es gar nicht erwartet hätte, man findet aber auch hässliche Ansichten bei Menschen, von denen man es nicht erwartet hätte (und bei solchen, bei denen man es erwartet hätte …). Ich habe in diesem Jahr gezielt versucht, wieder Kontakt zu „guten“ Leuten aufzunehmen, Leuten, zu denen der Kontakt eingeschlafen war, die aber tolle Menschen sind und die vielleicht zu Unrecht aus meinem Leben verschwunden waren, die ich zu Unrecht habe verschwinden lassen, weil ich so schlecht darin bin, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten. Und gleichzeitig merke ich, dass es langjährige Freundschaften gibt, die sich einem unabwendbaren Ende zuneigen, und die man aus Sentimentalität zu lange am Leben gehalten hat. Ich bin auch an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich keine Lust und Geduld mehr für irgendwelche Spielchen habe und Konflikte lieber offen und ehrlich aus der Welt schaffe.

Und dann sind da noch einige Baustellen, die zu privat sind, um darüber zu schreiben. Ich kann nur sagen: Es ist oft aufwühlend und manchmal beängstigend, aber es tut verdammt gut, sie endlich anzugehen.

Und so ist mein Fernweh gleichzeitig Katalysator für längst nötige Veränderungen in meinem Leben. Ich weiß nicht, wie lange das Sortieren dauert, aber auch das kommt mit dem Älterwerden: Ein bisschen mehr Gelassenheit und Geduld mit sich selbst.

[asian drama] Drama im Dezember (2016)

12. Dezember 2016

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Bevor ich mit dem Jahresrückblick in die Schlusskurve abbiege, möchte ich noch ein wenig über die Serien sprechen, die ich in den letzten beiden Monaten angefangen und beendet habe. Dieses Mal auch tatsächlich nicht vollständig koreanisch, es haben sich auch Dramas aus China und Japan dazwischengeschlichen.

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Keine Angst vor Mädchen – Über Geschlechterstereotype und vorauseilenden Gehorsam beim Bücherkauf

25. November 2016

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Als ich im letzten Jahr noch mal für ein paar Monate in einer kleinen Buchhandlung aushalf, fielen mir gleich beim der ersten Besichtigung des Ladens die beiden Nonbook-Regale auf: eine Seite lila und pink, eine blau, grün und grau. Auf einer Seite Sachen zum Hübschmachen, auf der anderen Abenteuersets und Geschicklichkeitsspiele. Leider mittlerweile ein gewohnter Anblick in Spielwaren- und Bekleidungsläden, die Kinder quasi von Geburt an in zwei verschiedene Farb- und Lebenswelten einteilen. (Das Header-Bild ist übrigens ein Foto von einem Set Filzmalstifte in der Mädchenecke, in den Farben: lila, rot, hellrosa, rosa, dunkelrosa … und petrol!)

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[Kdrama] On the Way to the Airport (공항 가는 길)

22. November 2016

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Als ich begann, dieses Drama anzusehen, hätte ich nicht erwartet, dass ich das am Ende sagen würde, aber: On the Way to the Airport ist das beste Kdrama, das ich in sehr langer Zeit gesehen habe. Das mag für einige überraschend kommen, immerhin ist es eine sehr zurückgenommene, ruhige, beinahe unspektakuläre Serie, die nie einen besonders großen Fanhype um sich hatte, doch genau das ist ihre Stärke: Sie erzählt ihre Geschichte ohne große Effekthascherei und lässt dabei den Figuren ihre Menschlichkeit.

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Dramageplauder 1/2016 – Erste (und zweite) Eindrücke

20. September 2016

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Wenn es eine goldene Regel für das Verfolgen von Serien während der Ausstrahlung gibt, dann, dass es nie bei einer allein bleibt. Irgendwie muss man es ja eine Woche mit dem quälenden Cliffhanger aushalten, und dann schaut man zur Ablenkung hier oder da mal rein, und ehe man’s sich versieht, gliedert sich die Woche nur noch in Tage, an denen eine neue Folge von diesem oder jenem kommt.

Nach über einem Jahr Pause bin ich jetzt also wieder an diesem Punkt und merke erst jetzt, wie sehr ich es vermisst habe. Ich weiß nicht, ob es an der langen Auszeit liegt, oder ob im Moment einfach etwas bessere Zeiten angebrochen sind, aber diesmal gibt es tatsächlich 3 Serien, über die ich gerne schreiben möchte: Jealousy Incarnate, Moonlight Drawn by Clouds und Scarlet Heart: Goryo.

Und falls sich jemand fragt, was aus „W“ geworden ist: Ich habe die letzten 3 Folgen noch nicht gesehen (also bitte keine Spoiler, auch keine Andeutungen!), einfach weil ich keine Lust hatte – man kann mir nur eine begrenzte Anzahl an den Haaren herbeigezogener Plottwists servieren, ehe ich unleidig werde… Aber nun auf zu erfreulicheren Dingen.

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Das schleichende Ende einer Liebe: Die Leipziger Buchmesse

13. September 2016
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Ich war noch Schülerin, als ich irgendwann um 2000 ein Bahnticket kaufte und allein zu meiner ersten Buchmesse nach Leipzig fuhr. Es war der Beginn einer kleinen Liebe, und seitdem habe ich, mit Ausnahme der Zeit in Korea, keine Messe verpasst.

Die Buchmesse Leipzig wurde für mich zu dem Ort, wo ich meine Internetfreunde traf, einen wunderbaren Haufen sehr unterschiedlicher Menschen, mit denen ich Fantasy-Rollenspiele schrieb und ganze Wochenenden „Munchkin“ und „Werwölfe im Düsterwald“ spielte. Ich verbinde viele kleine und große Erinnerungen mit dieser Zeit, auch wenn ich zu der lustigen Truppe von damals heute nur noch losen Kontakt habe. Die Messe war einladend für junge Leute wie uns, weil hier Comic, Manga und Fantasy einen Platz hatten, der ihnen sonst in der Branche nur naserümpfend oder widerwillig eingeräumt wird.

Mit den Jahren bevölkerten zunehmend Cosplayer, die man zunächst mit freiem Eintritt anlockte, die Messe und machten sie etwas lebhafter und bunter. Manchmal verbrachte ich vier Tage dort und saß einen davon nur auf den großen Treppen in der Haupthalle, um mir die Kostüme anzusehen. Ich habe es immer geliebt, wenn da Menschen verschiedener Altersgruppen mit vollkommen gegensätzlichen Interessen aufeinandertrafen und kommunizierten. Mehr als einmal sah ich ältere Menschen, die das Gespräch mit jungen Cosplayern suchten und sie dazu befragten, was sie denn darstellten und ob das nicht unbequem sei. Wann sonst passiert so etwas schon mal?

So muss ein Fest des Lesens für mich aussehen, dachte ich immer. Verschiedene Genres, verschiedene Formen des Geschichtenerzählens auf einem Fleck. Jung und Alt, Anspruch und Unterhaltung nebeneinander und miteinander. Gerade hier in Deutschland, mit unserem Graben zwischen „U“ und „E“, war es eine Wohltat, so etwas zu sehen.

Nun, das kommende Jahr ist das erste, in dem ich erwäge, nicht hinzufahren.

Warum?

Es haben sich Dinge verändert, zu viele, um sie zu ignorieren. Die Anwesenheit dieser jungen, bunten Menschen stieß nicht nur auf Gegenliebe. Es gab mehr als einen, dem sie ein Dorn im Auge waren und der sich wohl auch bei der Messeleitung beschwerte. Zunächst ohne Erfolg, die Messe wurde von Jahr zu Jahr etwas voller und etwas bunter. Halle 2, die Halle, wo Kinderbuch und Comic angesiedelt waren, wurde irgendwann so voll, dass man sich kaum noch darin bewegen konnte. Und noch ein anderes Problem gab es: Kleine Verlage in diesem Bereich meldeten sich als Händler an, um das Verkaufsverbot der Messe zu umgehen – oft die einzige Möglichkeit, überhaupt den Stand zu finanzieren – und zogen damit erst recht den Groll anderer Aussteller auf sich.

Deshalb hatte ich zunächst auch große Hoffnungen, als man ankündigte, Halle 1 zu öffnen und dort Raum für Comic- und Mangaverlage zu schaffen. Ich hoffte, dass man die ganze Messe entzerren, vielleicht sogar die Fantasy mit ins Boot holen und einfach was Tolles auf die Beine stellen würde. Doch schon als wir (wir, das bin ich und die Mitarbeiterinnen eines kleinen Verlags, die mich immer in ihrer Verlags-WG aufnehmen) dort ankamen, wurde mir klar, dass dem nicht so sein würde. Die Halle war nur halb gefüllt, ein paar Verlage, eine Bühne, eine Signierinsel, der Rest Verkaufsstände. Nicht einmal die „normalen“ Comic-Verlage hatten sich dem Umzug in Halle 1 angeschlossen, sondern waren mit Gemeinschaftsständen im allgemeinen Teil der Messe verblieben. Als ich dann den Messeplan sah, wurde mir klar, dass hier nicht „erweitert“, sondern „abgeschoben“ wurde. Auf dem Messeplan war Halle 1 als „Manga und Comic-Convention“ eingetragen, also quasi als eigene Veranstaltung, die irgendwie nicht zur Messe gehörte. Deshalb waren die dort ausstellenden Verlage auch gar nicht erst im Ausstellerverzeichnis der Messe zu finden. Ein klares „Die gehören nicht zu uns.“. Und die Botschaft kam an. Als ich einen ehemaligen Kollegen an seinem Stand in Halle 5 besuchte, erzählte er mir von Standnachbarn, die Cosplayern hinterherriefen, sie sollten sich in „ihre Halle scheren“. Wir und die. Die Anspruchsvollen und der Pöbel. Sind wir schon wieder so weit.

In diesem Jahr dann war die Halle voller – aber nicht mit Verlagen oder spannenden Ausstellern, sondern mit Verkaufsständen, die billige Chinaware für sehr viel Geld anboten. K-Pop-Kissen, Kontaktlinsen, Plüschtiere, Schlüsselanhänger und was noch. Natürlich darf es so etwas dort gerne geben, aber die schiere Masse erdrückte den Rest der Veranstaltung. Der Messe bringen diese Stände bei jährlich steigenden Standgebühren sicherlich ganz gut Geld ein, aber vom Charme der früheren Messen ist nicht mehr viel übrig.

Heute las ich dann hier und hier, dass man WerkZeugs, die sich seit einigen Jahren um den Fantasybereich auf der Messe kümmern, mit extrem hohen Standgebühren vergrault hat. Und es passt leider nur zu gut ins Bild.

(btw: Ob man dem Compact-Verlag auch die Standgebühren verdoppelt? Oder ob man ihn wieder mit seinem Bollwerk von einem Stand und seinen schwarzgekleideten Wachmännern direkt neben den Verlagen für schwule und lesbische Literatur ansiedelt? Auch das etwas, das bei der letzten Messe viele Fragen bei mir aufgeworfen hat.)

Laurie Penny, die dieses Jahr auf der Messe las, schwärmte in einem Interview davon, wie toll es hier sei, eine „ernsthafte“ Buchmesse und eine Comic- und Fantasycon in einem! Leider sehen die Veranstalter der Messe das wohl anders. Dem bunten, jungen Publikum, das man einst anlockte, und das einem zu Besucherrekorden verhalf, verpasst man jetzt einen schleichenden Tritt in den Allerwertesten. Auf dass die Messe wieder seriös werde, auf dass die Snobs in der Branche sich mal wieder durchsetzen. Vielleicht geht es auch wirklich nur ums Geld und das Vertreiben der „Nerds“ ist nur ein angehmer Nebeneffekt, ich weiß es nicht. Tatsache ist, dass die Messe mit diesem Vorgehen so unglaublich viel verliert. Und nicht nur die Messe.

Als ich dieses Jahr im Fachbesuchercafé saß, dachte ich in einem ruhigen Moment darübe nach, warum ich eigentlich noch komme. Die Antwort war eigentlich ganz leicht: Ich komme der Menschen wegen, aber nicht mehr der Messe wegen.
Und so geht eine über 15 Jahre währende Romanze zu Ende. Schade, Messe Leipzig, ich dachte immer, du seist anders.

W – Between two Worlds (더블유)

20. August 2016

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Habt ihr euch schon einmal gewünscht, eine Figur aus einem Roman, aus einer Serie oder aus einem Comic treffen zu können? Die koreanische Fantasy-Serie W zeigt eindrucksvoll, dass man mit derartigen Wünschen vorsichtig sein sollte, und was passiert, wenn ein Autor die Kontrolle über seine Schöpfung verliert …

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[books] Neue Bücher 1/2016

16. Juni 2016

Ich habe Bücher gekauft! Noch vor wenigen Jahren wäre das noch nichts Besonderes gewesen, da musste ich mich eher zurückhalten, nicht ein neues Buch nach dem anderen anzuschleppen.

Aber dann kam der berufliche Alltag, der so viel mit Lesen verbunden war, dass ich in meiner Freizeit keine Bücher mehr sehen wollte. Und so habe ich mir Lesen als Hobby, und damit auch Bücherkaufen, abgewöhnt. Nun ist es nicht so, dass ich gar nichts mehr gelesen hätte; es hat sich nur verlagert. Ich lese viel im Netz, kleine Essays und Thoughpieces auf Blogs. Auf Romane hatte ich daneben für lange Zeit einfach wenig Lust.

Zuletzt hatte ich viel Arbeit, ich habe meine erste große Romanübersetzung fertiggestellt (über 800 Seiten) und ein Buch lektoriert, das mir mit Sicherheit ein paar graue Haare mehr beschert hat. Und irgendwo in dem ganzen Trubel kehrte meine Lust aufs Lesen zurück. Also habe ich mir zur Belohnung Bücher gekauft. Und weil ich nach all der Zeit auch eingerostet bin, was das Bloggen betrifft, dachte ich, es wäre ein leichter Wiedereinstieg, einfach nur meine Beute vorzuzeigen – ganz so wie früher. 🙂

 

Sarah Andersen: Adulthod is a Myth (9781449474195)
adulthood Die Comiczeichnerin Sarah Andersen veröffentlicht ihre Comicstrips online auf Twitter und auf ihrer Seite sarahcandersen.com. Über die Monate wurde sie so manches Mal in meine Timeline gespült und ihre sehr lebensnahen Comics sind mir zunehmend ans Herz gewachsen. Das hier ist ihr erstes Buch, das überwiegend aus einer Sammlung ihrer online veröffentlichten Werke besteht – und es war eine schöne Möglichkeit, die Zeichnerin, deren Arbeit ich immer völlig gratis genießen konnte, ein wenig zu unterstützen.
Kameron Hurley: The Geek Feminist Revolution (9780765386243)
geekfem Dieses Buch wollte ich seit der Ankündigung im letzten Jahr haben. Es handelt sich um eine Sammlung von Essays (manche bereits online oder in Magazinen veröffentlich, mache neu) der Fantasy und SF-Autorin Kameron Hurley. Ich halte Hurley für eine der interessantesten neueren Stimmen in der Szene, weil sie nicht in bequeme Tropes verfällt, sondern versucht, sich und ihre Leser stets herauzufordern. Das lässt sich sehr gut in ihrem Essay We have always fought nachvollziehen, für den sie mit einem Hugo ausgezeichnet wurde. Ich bin sehr gespannt auf ihre anderen Texte, und überlege,  das Buch hier im Blog ausführlich, Essay für Essay, zu besprechen.
Ilona Andrews: Burn for me (9780062289230)
burn Ich hatte mal wieder so richtig Lust auf eine Ilona Andrews. Ich mag ihr simples, aber interessantes, Worldbuilding und ihre No-nonsense-Heldinnen. Mir blieb die Wahl zwischen den neueren Kate-Daniels-Romanen und ihrer Paranormal-Romance-Reihe für Avon. Da ich mit Kate zuletzt nicht mehr so viel anfangen konnte, wurde es die neue Reihe (mit dem echt schlimmen Billo-PR-Cover …).

[… thoughts] Vier Meter Tüll – Nachdenken über kleine Freiheiten

27. März 2016

Vor einigen Monaten war ich in einem Stoffladen und habe aus einer Laune heraus blauen Tüll gekauft. Kurz zuvor hatte ich diesen Rock gesehen und spontan Lust bekommen, ihn selbst zu nähen.
Als ich darauf wartete, dass die Verkäuferin mir die gewünschte Länge abschnitt, stellten sich zwei Frauen mittleren Alters hinter mir an und unterhielten sich, bis ihr Blick auf den Tüll fiel. „Sie fangen aber schon früh mit Fasching an“, lautete ihr Kommentar. „Ist nicht für Fasching“, sagte ich, und die Verkäuferin sprang mir bei: „Nein, auch die Tänzerinnen kaufen den gerne.“ Aha, machten die Frauen, froh, eine Erklärung dafür gefunden zu haben, was eine erwachsene Frau im Dezember mit vier Metern Tüll will. „Nein“, sagte ich, fischte nach meinem Handy und zeigte ihnen das Bild von dem Rock. Schweigen. Dann ein „Na ja, Sie sind ja noch jung, Sie können so was ja noch tragen.“ (Ich nehme an, sie haben mich wie viele andere auf Mitte 20 statt Mitte 30 geschätzt …)

Nun finde ich so was, ehrlich gesagt, ziemlich dumm. Mit 18 hätte ich diesen Rock niemals getragen, damals war ich viel zu befangen, habe mich viel mehr darum geschert, was „die anderen denken“. Die vielen Jahre, die ich wegen meines zu dünnen Körpers gehänselt worden war (ja, auch das gibt es), hatten bei mir Spuren hinterlassen, und lange wagte ich gar nicht, mich wirklich mit Mode auseinanderzusetzen, weil ich mich dann ja auch mit meinem Körper hätte auseinandersetzen müssen, der nicht die Rundungen hatte, die sich für eine Frau gehören. Es hat mich Jahre meines Erwachsenenlebens gekostet, mich mögen zu lernen, herauszufinden, was mir an mir gefällt und so etwas wie einen eigenen Stil zu entwickeln. Und wenn ich dann die Lebenserfahrung und das Selbstbewusstsein habe, um mich in blaue Tüllröcke zu kleiden, soll ich zu alt dafür sein? Da ist man ja gleich doppelt bestraft. Was für ein Bullshit.

Ich sagte also freundlich lächelnd zu den Damen: „Iwo, man ist nie zu alt. Man sollte immer das tragen, worauf man Lust hat.“ Und dann traf mich eine Welle des lautstarken Protests aus drei Frauenmündern gleichzeitig. Ich bin vorsichtshalber gleich mal einen halben Schritt zurückgetreten, als mir erklärt wurde: „Nein, nein, das geht gar nicht!“ Und die Verkäuferin konkretisierte: „Also irgendwo sind ja wohl noch Grenzen.“
Ich lächelte höflich, nahm meinen Stoff und floh zur Kasse.

Der Vorfall hat mich länger beschäftigt, als ich gedacht hätte. Wir alle stecken in diesem Korsett aus gesellschaftlichen Regeln und Erwartungen. Unser Alter, unser Geschlecht, unsere Herkunft bestimmen genauestens, was sich „gehört“ und was nicht. Und es macht die Leute nicht wirklich glücklich. Wie oft habe ich Menschen seufzend sagen hören, sie seien „zu alt“ für dieses oder jenes. Um im nächsten Atemzug jemanden dafür zu verdammen, dass er sich diese Freiheit nimmt, statt ihn zu beglückwünschen und mitzumachen. Und so erhalten sich solche Regeln selbst.
Das ist etwas, was ich wusste, ich hatte es ja am eigenen Leib schon zu spüren bekommen, aber es faszinierte mich, wie heftig die Reaktion auf meine Anregung, doch einfach diese Bekleidungsregel über Bord zu werfen, ausfiel. Ich meine, es ist ja nicht so, als hätte ich sie zum Drogenkonsum oder einer anderen Straftat überreden wollen. Es ging lediglich um ein bisschen textilen Ungehorsam.

Und dabei jammern doch um mich herum alle, wie gegängelt sie sich fühlen. Die Raucher vom Rauchverbot, die Rassisten, weil sie nicht mehr N* sagen dürfen, die Komiker, weil es Leute gibt, die ihre Witze über marginalisierte Gruppen von Menschen (verzeihung, Satire!1!!!!!einself) scheisse finden, Männer, weil sie ein „Nein“ akzeptieren und einer Frau keine „Komplimente“ hinterhergrölen sollen.  Als jemand den Vorschlag eines vegetarischen Tages in Kantinen machte, dachte man die Welt geht unter, und regelmäßig fühlen sich andere Fleischesser durch die bloße Existenz von Vegetariern und Veganern in ihren Freiheiten beschnitten.

Dabei gibt es neben „Keine Tüllröcke für betagte Damen!“ eine ganze Menge von Regeln, die einfach so hingenommen und sogar mit Zähnen und Klauen verteidigt werden. Blau für Jungs, Rosa für Mädchen zum Beispiel. In Kinderbekleidungs- und Spielzeugläden verläuft zunehmend eine scharfe Trennlinie und man fragt sich langsam, wann sie anfangen Stacheldraht dazwischen zu ziehen und beim Einlass nach dem Geschlecht des Kindes zu fragen. Gott behüte denjenigen, der zu Bedenken gibt, dass der Regenbogen noch mehr Farben hat und dass diese strenge Aufteilung doch recht sinnbefreit ist. Genderterroristen! Wollen uns unser flexibles, total natürliches und freiwilliges Blau-Rosa-Schema nehmen und uns dazu nötigen, frei(!) unter den Farben zu wählen. Da kann man schon verstehen, dass der Bürger da in Aufruhr gerät.

Ein Soziologe oder Psychologe könnte jetzt viel darüber erzählen, wie so etwas zustande kommt. Über den Sinn und Unsinn gesellschaftlicher Regeln, Werte und Normen. Darüber, dass wir sie so sehr verinnerlichen, dass viele von uns die Befreiung davon als maximalen Affront oder sogar als die eigentliche Gängelung empfinden, auch wenn es nur um Kleinigkeiten geht. Darüber, dass das Etablieren neuer Regeln auf so viel Widerstand stößt, während wir uns den vertrauten einfach so beugen und sie sogar bewahren wollen, selbst wenn wir niemandem schaden würden, wenn wir uns davon befreien, und was gesellschaftliche Hierarchien damit zu tun haben.

Aber ich bin beides nicht, also bleibt mir nur das Beobachten, das Nachdenken und das Wundern. Und daran zu arbeiten, aus mir selbst einen offeneren, freieren Menschen zu machen, der auch mit 90 noch royalblaue Tüllröcke trägt, wenn sie ihm gefallen, denn ich habe nur das eine Leben.

[… books] Verena Friederike Hasel: Lasse

25. Februar 2016
lasse

„Ab morgen werde ich mich mustergültig um alles kümmern. Werde Felix baden und seine vollgekoteten Sachen waschen, werde nicht mehr so viel im Internet surfen und mich an all die mit Textmarker markierten Stellen in meinen Büchern halten, werde nicht mehr genervt sein und nie wieder etwas Böses denken. Ab morgen werde ich eine rundum gute Mutter sein, aber jetzt muss ich erst mal schlafen. ”

Lasse
von Verena Friederike Hasel

Verlag: Ullstein, 2015
ISBN: 9783550080937
Seiten: 200
Preis: 18,00 €

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